bookmark_borderGrenzen der Vernunft?

Kann ich die Grenze ausloten, bis zu der mein Denken reicht?

Wenn man “Denken” sagt, kann das vieles heissen: Nachdenken, tagträumen, logisch analysieren, phantasieren…..offensichtlich ist, dass diese Tätigkeiten einen das ganze Leben begleiten, und mit dem Tod wahrscheinlich aufhören.

Auch wenn wir nur das vernünftige Denken nehmen und alles Träumen, Phantasieren etc. weglassen ist nicht so klar, ob wir immer gleich angeben können, ob eine bestimmte Denkbewegung, ausgedrückt in einem Satz, noch zur Vernunft gehört oder bereits ausserhalb liegt und also jenseits der Grenze der Vernunft. Denn die Entscheidung darüber, ob etwas vernünftig genannt werden kann treffe ich ja nicht allein, sondern im Disput mit all jenen, deren Wissen, Begriffe und sprachlichen Voraussetzungen ich teile. Wenn wir uns nun alle einig sind, dass mein Satz vernünftig genannt werden kann, bedeutet das aber noch nicht unbedingt, dass wir alle vernünftig sind – ebenso gut könnten wir uns alle irren und Unsinn erzählen, den wir für wahr halten. Später werden wir vielleicht klüger und sehen: damals haben wir uns geirrt, es war nicht vernünftig, so zu denken, wir haben Dinge übersehen, die uns hätten auffallen müssen.

Wenn es aber ein “vorher” und ein “nachher” gibt bei der Einschätzung, ob etwas vernünftig ist oder nicht, dann können wir nicht von einer festen Grenze der Vernunft sprechen. Was wir heute tun, kann morgen nicht mehr vernünftig sein – in der Tat scheint dies eine Konstante menschlichen Handelns zu sein.

bookmark_borderEntscheiden-nachdenken

Nachdenken setzt voraus, dass wir uns zuvor entschieden haben, worüber wir nachdenken wollen.

Die Entscheidung, meine Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Gegenstand zu richten (und also alle anderen auszublenden) kann ich durch Abwägen, Prüfen, Hinterfragen aufschieben, bis zum Punkt, wo eine andere Stimme eingreift und sagt: Genug mit dem Hin- und Her, so machst du das jetzt!

Intuition, innerer Dämon, Glaube odere wie auch immer man das nennen mag – jedenfalls ist es nichts, was mit Vernunft zu tun hat, das den Ausschlag gibt für unsere intellektuellen Präferenzen, keine nachvollziehbare Logik, die zwingend zu diesem oder jenem Resultat führen würde.

Aus dieser Erkenntnis folgen für mich zwei Dinge:

Erstens, einer einmal getroffene Entscheidung, sich mit etwas gedanklich eingehender zu befassen muss man die Chance geben, sich zu bewähren. Man muss ihr Zeit geben, ihr Wirken beobachten, die Schwierigkeiten wahrnehmen und Lösungen suchen, sie anpassen auch an sich verändernde Bedingungen.

Zweitens, Entscheidungen können sich als falsch herausstellen, dann müssen die aus ihr folgenden Denkweisen aufgegeben werden. Dies wird umso schwerer fallen, je länger man mit ihnen gelebt hat, aber Sich-Trennen-Können ist eine überlebenswichtige Fähigkeit. Es hilft, jederzeit eine gewisse Distanz zu bewahren zu den eigenen Praktiken. Man sollte immer sagen können: Ich mach das jetzt mal so, aber letztlich gibt es keine Garantie, dass es richtig ist oder zum Erfolg führt.

Wie vergangene Entscheidungen sich in der Realität bewähren ist lehrreich. Wenn etwas nicht funktioniert hat, gilt es das anzunehmen ohne sich Vorwürfe zu machen. Denn was getan wurde kann ja nicht rückgängig gemacht werden. Die Ökonomen reden von “sunk cost” – das Geld wurde ausgegeben und kommt nicht wieder. Und umgekehrt ist es ratsam, Erfolge ebenso so ruhig und kühl zu betrachten und sich zu sagen: ich habe mein Bestes gegeben, aber Erfolg ist letztlich Glückssache und hängt nur zu einem kleinen Teil von meinen Handlungen ab.



bookmark_borderHeiterkeit und ihre Feinde

Gesundheit gilt als Basis für ein heiteres Gemüt. Ein ausgeglichener Lebenswandel, Dankbarkeit für das, was man erreicht hat und Verzicht auf übertriebene Ansprüche ans Glücklichsein gehören zu den Merkmalen einer heiteren Persönlichkeit. Zudem stellt man schnell fest, dass Heiterkeit im Umgang mit anderen eine ansteckende und sich verstärkende Wirkung hat.
Was die Heiterkeit zuverlässig beeinträchtigt sind schlechte Gewohnheiten, wie zum Beispiel diese:

Der Konsum von Schlagzeilen.
Das Gegenmittel: News nur in kleinen Dosen konsumieren, mit genügend Pausen für das Nachdenken darüber, was der Redakteur sich gedacht hat, als er seine Zeile kreierte. Wahrscheinlich wollte er in erster Linie Aufmerksamkeit auf sich lenken: ok, das ist legitim, aber was habe ich davon, wenn ich sein Spiel mitspiele?

Die eigene Person zu wichtig nehmen.
Das Gegenmittel: Einsehen, dass Empörung über den Zustand der Welt nichts zu einer Verbesserung der Zustände beiträgt. Dass es unglücklich macht, wenn man ständig an der Verbesserung des eigenen Körpers feilt, und sich statt dessen vornehmen, die eigene Unvollkommenheit zu akzeptieren.

Perfektionismus.
Gegenmittel: Bedenken, dass das Gelingen oder Nicht-Gelingen nur zu einem kleinen Teil der eigenen Leistung geschuldet ist, weil stets andere und Äusseres beteiligt sind, von denen man abhängig ist.

bookmark_borderErinnern heisst erfinden

Erinnerungen sind Momentaufnahmen. Eine Schulstunde vor 60 Jahren, der Lehrer fragt, einige recken die Hand hoch, jeder durfte etwas beitragen, am Schluss der Stunde war ein schönes Bild auf der Tafel mit Regenwolken, Sonne, Schnee, vom Lehrer mit Sorgfalt von Hand gezeichnet.

Diese Erinnerung ist lückenhaft und sehr verschwommen. Ich kann sie aber sprachlich so fassen, dass sie mir konkret vorkommt. Ich kann sie noch weiter ausschmücken: durch die Fenster des Schulzimmers sah man auf eine Wiese, der Lehrer rauchte in der Pause Zigaretten, die braven Schülerinnen sassen in der ersten Reihe…je länger ich nachdenke, desto mehr Einzelheiten fallen mir ein.

Wenn ich solche Momente hintereinander setze, erhalte ich eine Geschichte – meine eigene Biografie. Sie ist in sich geschlossen und lässt das Heute als einen letzten Punkt in der langen Reihe von Ereignissen erscheinen, die alle irgendwie sinnvoll zusammenhängen, die letztlich das ergeben, was ich bin.

Aber: die Geschichte bin nicht ich. Schon die Auswahl der Erinnerungen folgt meiner gegenwärtigen Stimmung. Bin ich traurig, tauchen andere Bilder auf als wenn ich mit meinen Leistungen von früher angebe. Begegne ich einem Freund aus der guten alten Zeit, der heute schon zerbrechlich wirkt, ändern sich sofort auch die Bilder aus der Zeit, als wir zusammend die Schulbank drückten.

Erinnern ist also eigentlich ein Erfinden – Phantasieren, Spekulieren, Zusammenhänge schaffen zwischen Eindrücken, die ich selber auswähle gemäss meiner aktuellen Verfassung als Autor.

Ich muss achtgeben, meine Fiktionen nicht mit der Realität zu verwechseln. Denn was hier fehlt ist die Sicht der anderen auf diese früheren Momente der Biografie. Aus Erfahrung weiss ich, dass sie häufig im Kontrast stehen zu meinen eigenen. Die Eindrücke der anderen sind der Prüfstein für mein eigenes Urteilsvermögen, für die geistige Frische und die Zuverlässigkeit des Denkens. Denn ich weiss, dass meine Erinnerungen je länger desto unzuverlässiger werden. Sie geben mir ein trügerisches Gefühl von Dauer, die sich jederzeit in Nichts auflösen kann. Kein Vergangenes kann sich sicher sein vor der Gegenwart (T.W.A).

bookmark_borderDie Furcht zu irren

Wer wissen will, muss den Irrtum wagen. Er muss scheitern können, immer wieder, bis sich Gewissheit einstellt. Dazu braucht es Mut, Durchhaltewillen, Phantasie. Hegel meinte in seiner Einleitung zur Phänomenologie des Geistes, »daß die Furcht zu irren schon der Irrtum selbst ist«. Und nach Kant sind am unaufgeklärten Geisteszustand vor allem des Menschen eigene »Faulheit und Feigheit« schuld.

Es braucht zum Denken zwei Dinge: Verstand und Vernunft. Verstand ist die Fähigkeit, die Dinge nüchtern zu betrachten, in ihre Einzelteile zu zerlegen, zu ordnen und sie einzusortieren in das Gedankengebäude. Die Vernunft setzt dem endlosen Analysieren und Einordnen Grenzen. Sie setzt Prioritäten, entscheidet darüber, was wichtig ist und sich weiterzuverfolgen lohnt, und lässt das andere in den Hintergrund treten.

Dank des analyischen Verstandes zerfällt die Welt in selbständige Einzelteile, die sich nicht wieder zusammenfügen lasssen. Zum Beispiel: Wir analysieren den Menschen als aus Körper und Geist bestehend. Aber wie fügen sich die beiden Teile zu einem ganzen Menschen? Die Frage hat die Philosophen lange beschäftigt. Aber das Problem des “ganzen Menschen” ist nur ein Resultat der vorgängigen analytischen Reflexion – ein Scheinproblem, eine falsche Frage. Manche ziehen daraus den Schluss, dass wir aufhören sollten mit dem Analysieren – dabei reicht es zu verstehen, dass der Verstand seine Grenzen hat.

Wir brauchen die Vernunft, um die Bedeutung abzuwägen, die wir den Fakten zumessen, und Geschichten zu schreiben, die Einzelereignisse zu grösseren Zusammenhängen verbinden.



bookmark_borderFreie Entscheidung

Eine These besagt: Eine Regierung wird nicht vor allem danach beurteilt, welchen Wohlstand sie hervorbringt, sondern ob die Lasten (Steuern z.Bsp.) selbstgewählt sind. Das Vorzeigebeispiel ist die amerikansiche Revolution, die sich an der höchst geringen Tee-Steuer entzündete, weil diese eben von aussen aufoktroiert war.

In Diskussionen höre ich immer wieder: Der Schweizer denkt vor allem an sein Portemonnaie, deshalb stimmt er gegen alles, was an sein Geld geht, egal wie edel oder an sich gut die Sache ist. Die elitäre Abqualifizierung der Schweizer als dümmliche Bünzlis, die nur an ihr Bankkonto glauben, wird immer wieder widerlegt, zuletzt von den Abstimmungsresultaten bei No-Billag. Aktuell ist Solidarität mit der Ukraine gefragt, was zu Gegensanktionen Russlands und damit zu höheren Gaspreisen führt. Es gibt natürlich Leute hier, die jetzt schon einknicken und Angst und Panik schüren, und auch hier könnte man denken, dass solches Denken repräsentativ sei für die hiesige Mentalität. Aber Umfragen zeigen klar: die Solidarität mit der Ukraine wird höher gewertet als eine Anbiederung mit Russland. Denn die willkürliche Erhöhung der Gaspreise oder gar ein Lieferstopp von Gas, von Putin verordnen, wecken automatisch den Widerspruchsgeist bei all denen, die ein Rückgrat haben und sich nicht gleich einschüchtern lassen. Wilhelm Tell lässt grüssen.

bookmark_borderAnhänger des Zen

Buddhistische Mönche, ihre Schriften, Gebete und Rituale waren im alten China und Japan nicht verzichtbar. Händler brauchten sie, um ihre  Schiffe zu segnen. Fürsten stützten ihre Legitimation auf Buddhas Wohlwollen. Das Volk erhielt Anleitung für die alltäglichen Rituale, für die Durchführung von Festen. Tempel waren zudem gesellschaftlich wichtige Zentren. Wenn sie an abgelegenen Orten errichtet wurden, dann zum Schutz der Schriften und Mönche vor Zerstörung. Mönch zu werden war ein Berufsweg, zwar ohne materielle Aussichten, dafür aber mit einer Garantie auf eine tägliche Mahlzeit. Je mehr Mönche für einen beteten, desto höher das Ansehen des Tempel-Sponsors, und desto wirkmächtiger die Gebete. 

Der Eintritt in ein Chan (Zen) – Kloster war denkbar einfach: Man musste seine Famillie verlassen (den Kopf rasieren), eine Mönchskutte tragen und konnte dann in einem beliebigen Kloster die Gebetshalle betreten. Die Unterordnung unter die Tempelordnung, die Dienstpflichten, die Gebete, Anhörung von Vorträgen gehörten selbstverständlich dazu. Man konnte jederzeit austreten und einen anderen Weg einschlagen. 

Für die Beamten waren die Zen-Klöster beliebte Rückzugsorte, um sich vom Berufsstress zu erholen, oder wenn sie gerade in Ungnade gefallen und an einen entlegenen Ort strafversetzt worden waren. Der Beamte und Dichter Bai Juyi, der sich regelmässig in buddhistische Kloster zurückzog, um dort zu meditieren, schrieb auch Gedichte, die sich mit Buddhismus und Taoismus befassen, und in denen er einen besonders unbeschwerten Ton anschlägt, vielleicht weil er sich nicht als Experte in religiösen Fragen aufspielen wollte. Er war jedoch überzeugt, dass der Einzelne in der Lage sein sollte, seine inneren Gefühlszustände zu kontrollieren, auch wenn das Schicksal die äusseren Umstände seiner Person diktierte.

Er schreibt:

Bad times and good do not come from you;
joy and sorrow do not come from Heaven.
Fate you can do nothing about,
but you can cause your mind to be at peace. 

bookmark_borderFasten im Kopf

Merksätze zum “Sitzen und Vergessen”, also Meditation (nach Zhuangzi), wo die Rede ist vom Fasten mit dem Herzen (心斋 xinzhai). Gemeint ist der Ort, wo gemäss alter Auffassung sowohl das Denken wie auch das Fühlen stattfinden. Das englische Wort “mind” passt gut. Die deutschen Sinologen tun sich traditionell schwer mit einer Übersetzung, “Herz-Geist” scheint mir keine befriedigende Wortschöpfung.

Sitzen und vergessen

Dasitzen wie ein verdorrter Baum,
Die Gedanken wie kalte Asche.

Alles fallen lassen.
Weder zuhören noch beobachten.
Aufhören nachzudenken.

Fasten im Kopf

Entbehrungen akzeptieren.
Erfolg haben ohne stolz zu sein.
Die Dinge nicht vorausplanen.
Ohne Reue scheitern.

Schlafen ohne zu träumen,
Erwachen ohne Sorgen.
Essen ohne nach Wohlgeschmack zu verlangen.
Tief atmen – durch die Fersen atmen.
(die meisten atmen durch die Kehle)